Superrusse - Übersicht


1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 3.Sxe5 Sxe4
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Weiß am Zug

Als mein Schachfreund Stefan Melzer diese Variante im Jahr 2001 in einer Wiener Liga (VM AL) gegen einen Spieler unserer Mannschaft spielte, fragte ich ihn, ob er denn nicht wisse, dass die Widerlegung dieser Variante schon seit über 100 Jahren bekannt sei. Das Schicksal wollte es, dass wir bald darauf Arbeitskollegen waren, und so trafen wir uns einige Male nach der Arbeit zu Analyseabenden. Anfangs war ich noch sehr von der Inkorrektheit der Variante überzeugt, und im Themablitzen hatte Stefan nach 4.De2 De7 5.Dxe4 d6 6.d4 dxe5 7.dxe5 Sc6 8.Lb5 Ld7 9.Sc3 0-0-0 10.Lf4 g5 11.Lg3 immer einen schweren Stand. Bald waren wir uns einig, dass Schwarz bei korrektem weißen Spiel hin ist. Stefan schaute schon ganz resigniert, als wir die Züge ein abschließendes Mal vor und zurück durchgingen und keine sinnvollen Alternativen fanden. Da stach mir Plötzlich 9.- Db4 ins Auge. Wenige Sekunden später sah ich zwar 10.Lc4, doch diese Stellung analysierten wir noch oft, gemeinsam mit einem weiteren Arbeitskollegen, Gottfried Rihtar, der viele gute Ideen einbrachte. Allmählich kam in mir eine Begeisterung auf, und weil mir eine klare Widerlegung nicht bekannt war, begann ich die Variante in Turnierpartien anzuwenden. Die Premiere (Wallner-Volkmann 2001) war leider ein Rohrkrepierer, weil mein Gegner 4.d4 zog und ich im frühen Mittelspiel einen Fehler machte, der die Partie kostete. Doch bereits bei der Europamannschaftsmeisterschaft in Plovdiv 2001 hatte ich mit 3.- Sxe4 Erfolg: Gegen GM Nedev konnte ich 9.- Db4 auspacken, was mir ein Remis einbrachte. Bisher halte ich mit 3.- Sxe4 gegen GMs ein ausgeglichenes Score, und eine Widerlegung ist noch nicht bekannt!

Stefan Melzer hat die Variante aus einem Eröffnungsbuch von Ludek Pachman, der Analysen des Fernschachspielers Jaroslawtzew (in dieser Schreibweise, heute würde man den Namen anders transkribieren) angibt und in etwa zu dem Schluss kommt, dass die Variante spielbar ist. Einen Namen gibt er der Variante nicht. Überhaupt ist die Variante in alter Eröffnungsliteratur durchwegs unbenannt. Heute wird sie meistens "Damiano-Gambit" genannt, v.a. im Internet, wo diese Bezeichnung auch ihren Ursprung haben dürfte. Es heißt, Damiano habe diese Variante analysiert. Ich konnte dafür jedoch keinen Beleg finden und vermute eine Verwechslung mit 1.e4 e5 2.Sf3 f6 3.Sxe5. Daher möchte ich mich Stefan Melzers witziger Benennung "Superrusse" anschließen, die er selbst erfunden hat und die ich für sehr treffend halte, weil die Variante das Wesen der russischen Verteidigung in extremer Form präsentiert: Abtausch und Vereinfachung. Meistens entsteht bereits in der Eröffnung ein Endspiel. Ein Endspiel mit Eröffnungstheorie! Man könnte die Variante daher auch die Endspieleröffnung nennen. Wer Endspiele mag, dem sei sie ans Herz gelegt, ansonsten Finger weg. :-) Finger weg auch dann, wenn man mit Schwarz auf Gewinn spielen möchte. So schwer es für Weiß ist, den minimalen Endspielvorteil zu verwerten, so schwer ist es für ihn auch, in diesen Endspielen einen Verlustzug zu finden.

Im Theorieteil erlaube ich mir, bewusst gegen eine übliche Konvention zu verstoßen, indem ich die besten (bzw. die Haupt-) Varianten stets zuerst anführe. Denn ich denke, dass man sich im Normalfall zuerst die guten Varianten ansehen will. Alle Analysen sind von mir, sofern nicht anders vermerkt oder aus alten Partien bekannt, und ich ersuche euch, meine Urheberschaft anzumerken, wenn ihr die Analysen irgendwo verwendet. Ich habe nämlich viel Zeit in meine Analysen investiert und da wäre es sehr ärgerlich, wenn jemand anderer sie als seine eigenen ausgibt. Weil ich zwar nicht der schlechteste, aber auch nicht der beste Schachspieler bin, müssen meine Analysen nicht immer korrekt sein. Wenn euch Verbesserungen, Anregungen oder auch Fragen einfallen, fresst sie bitte nicht in euch hinein, sondern schickt mir ein Mail. Ich kriege so wenige Mails, dass ich mich über jedes freue.

Ergänzung Okt. 2009: Meine Superrussisch-Seiten gibt es nun schon seit 2 Jahren. Ich habe sie nun endlich wieder auf den aktuellen Stand gebracht, wenn auch nur inhaltlich, nicht designmäßig. Inzwischen erschien in den "Secrets of Opening Surprises" ein Survey von Or Cohen mit einigen interessanten Analysen, und der Fernschachspieler P. Wolochowicz, mit dem ich per Mail schon einige Gedanken ausgetauscht habe, denkt ebenfalls eine Veröffentlichung über diese Variante an. Freilich sehe ich mich immer noch als Hauptprotagonisten, und wenn ihr Fragen oder Anregungen habt, dann mailt mir bitte. Meine Mailadresse steht auf der Startseite.

Ergänzung März 2015: Das Buch von P. Wolochowicz ist inzwischen erschienen (auf Polnisch), und er zeigte mir auch den zweiteiligen Artikel von Charles Hertan in Chess Life (1990). Aus heutiger Sicht bietet dieser Artikel wenig Neues, aber damals war er seiner Zeit voraus. Die darin beschriebenen Erkenntnisse wurden erst viele Jahre später peu a peu von mir und anderen wie das Rad ein zweites Mal erfunden.