Das Rechtsfahrgebot und wann man es besser ignoriert

Im Straßenverkehr eine häufige Situation: 2 Teilnehmer kommen einander entgegen. Was tun?

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Wenn 2 Fußgänger einander auf dem Gehsteig entgegen kommen, herrscht oft Verwirrung und beide versuchen mehrmals auf die selbe Seite hin auszuweichen. Auf der Fahrbahn gibt es zum Glück eine klare Regel. In den meisten Ländern hat jeder auf die von sich gesehen rechte Seite auszuweichen (Rechtsfahrgebot). In Österreich herrschte bis 1938 eine Linksfahrordnung, wurde aber mit dem Anschluss an Hitlerdeutschland durch die Rechtsfahrordnung abgelöst. Ab 1945 wurde fast alles, was Hitler eingeführt hatte, rückgängig gemacht, nur nicht die Rechtsfahrordnung - obwohl sie mit dem Rechtsvorrang gar nicht zusammenpasst. Wie auch immer, in der oben abgebilteten Situation weiß jeder, was zu tun ist.

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Laut österr. Straßenverkehrsordnung (§ 7 StVO) müssen Fahrzeuge immer auf der rechten Seite fahren. Diese Regel hat jedoch keinen Sinn, wenn man auf der Straße als einziger unterwegs ist. In diesem Fall fährt man besser in der Mitte, weil so der Sicherheits-Spielraum zum Straßenrand am größten ist und weil Straßen gegen den Rand hin meistens dreckig und rumpelig sind.

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Einen Sonderfall stellen Kurven dar. Wenn man sie schneidet, verkürzt man nicht nur die Strecke, sondern vergrößert auch gleichzeitig den Radius der gefahrenen Kurve -> geringere Fliehkraft.

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Einen noch größeren Kurvenradius erhält man, wenn man von außen in die Kurve einfährt - wie das aus gutem Grund auch die Rennfahrer machen. Sie sprechen von der Ideallinie.

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Wie ihr seht, wird in der Kurve das Rechtsfahrgebot eklatant missachtet. In Rechtskurven ist es umgekehrt, da wird in der Kurve das Rechtsfahrgebot befolgt und dafür beim Einfahren in die Kurve und beim Ausfahren missachtet. Heißt das, dass die Ideallinie schlecht ist? Nein, es heißt, dass das Rechtsfahrgebot nicht immer sinnvoll ist.

Natürlich kann man die Ideallinie nur dann fahren, wenn man allein ist auf weiter Flur und die Kurve gut überblickt. In unübersichtlichen Kurven muss man sich anders verhalten. Hier kommt es darauf an, so zu fahren, dass man die Kurve möglichst gut einsieht. Das geht am besten, wenn man sich ihr von außen nähert.

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Es geht dabei nicht nur darum, den Gegenverehr frühzeitig zu erkennen. Auch auf breiten Straßen, wo man auf ganze Sicht fahren kann, ist es gut, die Kurve möglichst weit einzusehen - nämlich um Hindernisse auf der rechten Straßenseite frühzeitig zu erkennen.

Darum muss man in einer unübersichtlichen Rechtskurve das Rechtsfahrgebot wieder mal ignorieren.

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In allen diesen Fällen muss man freilich, sobald Gegenverkehr in Sicht kommt, auf der rechten Straßenseite fahren, da der Entgegenkommende sonst den Schluss ziehen würde, dass der Vertrauensgrundsatz nicht mehr gegeben ist. Der Entgegenkommende würde sich zu einer Geschwindigkeitsreduktion genötigt fühlen.

Ebenso darf man den Rückspiegel nicht außer Acht lassen. Wenn sich von hinten jemand nähert, muss man möglichst weit rechts fahren, um ihn gefahrlos überholen zu lassen.

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Bei Gegenverkehr und dort, wo man damit rechnen muss, ist Überholen ein Hazardspiel.

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In unübersichtlichen Kurven bringt es also nichts, am äußersten rechten Rand zu fahren. Ganz im Gegenteil, man würde den Nachkommenden zu einem gefährlichen Überholmanöver verleiten. Am besten fährt man hier ganz normal und wartet auf einen übersichtlicheren Straßenabschnitt, wo man den Nachkommenden überholen lässt.

Keine Gedanken um den Gegenverkehr muss man sich dort machen, wo in Fahrtrichtung 2 Spuren vorhanden und mit doppelter Sperrlinie oder - noch besser - baulich (man spricht dann von einer Richtungsfahrbahn) von der Gegenfahrbahn getrennt sind. Das Rechtsfahrgebot heißt hier, dass die rechte (="erste") Spur zu benützen ist, sodass schnellere Fahrzeuge auf der zweiten Spur überholen können.

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Im Stadtgebiet gilt jedoch die freie Fahrstreifenwahl (StVO § 7 Abs. 2a), d.h. Kfz dürfen die Spur unabhängig von der Geschwindigkeit frei wählen, es darf also der Langsamere auf der zweiten Spur fahren und auf der ersten Spur überholt werden. Die freie Fahrstreifenwahl gilt nur für Kraftfahrzeuge, also nicht z.B. für Radfahrer.

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In so einer Situation meinen viele Autofahrer, dass der Radfahrer auf der linken Spur nichts verloren hat und betätigen in rasender Wut die Hupe. Doch wie fast immer ist es der Huper selber, der die Regeln nicht begriffen hat. In unserem Beispiel weiß der Huper nicht, dass sich der Radfahrer links einordnen musste, weil er bei der nächsten Kreuzung links abbiegen möchte.

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Die Fahrlinie ist hier stark verkürzt gezeichnet. Sich als Radfahrer über 2 Spuren hinweg nach links einzuordnen, ist wegen der Geschwindigkeitsdifferenz oft gar nicht so einfach, zumal die Autofahrer den Radfahrer nicht reinlassen, wenn er mit der Hand seinen Wunsch signalisiert, sondern einfach vorbeidonnern. Darum muss man als Radfahrer möglichst früh versuchen, die Spuren zu wechseln. dann aber zeigen die Autofahrer noch mehr Unverständnis.

Auf Autobahnen gibt es solche Probleme nicht. Keine Kreuzungen, keine Radfahrer. Hier ist in der Theorie alles ganz einfach: Der Langsamste fährt auf der ersten Spur, der schnellere kann ihn auf der 2. Spur überholen, und währenddessen kann ein noch Schnellerer auf der 3. Spur (falls vorhanden) beide zusammen überholen.

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Doch keine Regel ist einfach genug, dass sie in der Praxis problemlos funktioniert. Denn Menschen machen Fehler. Ein einfaches Beispiel: 2 Autos auf der 1. Spur, der schnellere setzt zum Überholen an.

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Nun wird der langsamere von einer Instinkthandlung ergriffen. Überholt zu werden gibt ihm das Gefühl, zu langsam zu sein und andere aufzuhalten. Er steigt unbewusst mehr aus Gas.

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So ergibt sich ein unbeabsichtigtes Wettrennen. Der Überholende muss nun ebenfalls schneller werden, um den Überholvorgang abzuschließen. Möglicherweise schneller, als ihm lieb ist; zumal er sowieso schon stärker aufs Gas steigen muss, jetzt da er den Windschatten verlassen hat. Solang der Überholende keine nahende Ausfahrt nehmen muss, ist diese Situation zum Glück ungefährlich. Entweder schließt der Überholende den Überholvorgang ab, oder er lässt sich zurückfallen und reiht sich wieder hinter dem anderen Fahrzeug ein.

Weniger Instinkt als vielmehr Rücksichtslosigkeit ist bei den Mittelspurschleicherinnen zu vermuten. Wer kennt sie nicht - sie fahren über längere Zeit mit geringer Geschwindigkeit auf der Mittelspur, obwohl vor ihnen kilometerweit die Straße leer ist; und damit halten sie den ganzen Verkehr auf. Um sie ordnungsgemäß zu überholen, muss man 4 Spurwechsel durchführen.

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Meistens sind diese Spurwechsel nicht so einfach möglich, da sich auf der 3. Spur eine Dränglerei einstellt.

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Man kann auf die 2. Spur wechseln und der Mittelspurschleicherin mit der Lichthupe einen Hinweis geben. Aber das ist vergebliche Müh. Am besten ist es, illegal rechts zu überholen.

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Die Gefahr dabei ist, dass just in dem Moment, wo man auf gleicher Höhe ist, das Auto von der Mittelspur rechts rüberfährt. Aber das kommt praktisch nicht vor. Wer minutenlang grundlos auf der Mittelspur schleicht, der tut es auch weiterhin.

So ärgerlich es manchmal ist, wenn andere auf der Autobahn das Rechtsfahrgebot missachten - manchmal gibt es gute Gründe, es selber zu tun! Das Standardbeispiel sind Auffahrten:

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Das rote Auto kommt gerade auf den Beschleunigungsstreifen. Um ihm den Wechsel auf die erste Spur zu erleichtern, wechselt man auf die zweite. Man wäre nicht dazu verpflichtet, denn man hat Vorrang. Ganz im Gegenteil, das Rechtsfahrgebot würde es eigentlich verbieten. Aber es ist ist für den anderen eine Hilfe, und der eigene Aufwand ist minimal. Daher ist es hier für alle Autofahrer eine Selbstverständlichkeit, so zu handeln.

Das folgende (verkürzt gezeichnete, wie alle hier) Beispiel ist schon etwas komplizierter. Was soll der Fahrer des blauen Autos tun?

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Das rote Auto will auf die 1. Spur wechseln. Daher will das schwarze Auto auf die 2. Spur wechseln. Daher machen wir ihm seinerseits Platz und wechseln auf die 3. Spur. (Natürlich nur dann, wenn wir gerade nicht selbst überholt werden. Das gilt auch für die folgenden Beispiele.)

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Im folgenden Beispiel haben wir gerade das grüne Auto überholt. Sollen wir uns nun gemäß dem Rechtsfahrgebot wieder auf der 1. Spur einordnen, bevor wir die beiden nächsten Fahrzeuge überholen, oder auf der 2. Spur durchziehen, weil sich der zweifache Spurwechsel nicht auszahlt?

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Weder noch! Denn es ist sehr leicht möglich, dass der Fahrer des roten Autos den Lkw überholen möchte, damit aber zuwartet, weil er uns im Rückspiegel herbeipreschen sieht. (Wenn der Lkw 80 km/h fährt und wir 130, sind das immerhin 50 km/h Geschwindigkeitsdifferenz.) Wir wechseln daher auf die 3. Spur, damit er überholen kann.

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Das gleiche im folgenden Fall. Der Fahrer des roten Autos denkt: "Der kommt so schnell daher, der wird mich gleich überholen wollen. Ich warte lieber, bis er vorbei ist." Nicht nötig. Wir wechseln sofort auf die 3. Spur.

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Je mehr Fahrzeuge in der 1. Spur hintereinander fahren, desto wahrscheinlicher ist es, dass einer davon auf eine Überholmöglichkeit wartet.

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Wenn 4 Spuren vorhanden sind, können wir natürlich auch die vierte nutzen.

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Warum reicht es in diesem Beispiel nicht, auf der 3. Spur zu überholen? Der Fahrer des grünen Autos wartet möglicherweise, bis das rote Auto vorbei ist, um dann die gesamte Gruppe inklusive dem roten Auto zu überholen. Dazu braucht er dann die 3. Spur. Außerdem könnte eines der schwarzen Autos die Spur wechseln und das rote Auto zu einem seinerseitigen Spurwechsel nötigen. Aus Sicht des Fahrers des schwarzen Autos gar nicht verwerflich: Er sieht zwei leere Spuren auf der linken Seite, also genug Platz fürs rote Auto. Aber als Fahrer des blauen Autos brauchen wir das nicht alles durchdenken. Hier genügt die Intuition. Die sagt uns, dass wir an einem solchen Knödel von Autos besser in größerem Abstand vorbeifahren.

Ein schwerer Lkw schädigt den Belag angeblich wie 20000 Pkw. Kein Wunder, dass die rechte Spur immer die kaputteste ist. Die Spur wird oft fleckerlweise neuasphaltiert, was sie aber nur noch holpriger macht. Darum ist es verständlich, wenn Pkw-Fahrer die rechte Spur meiden. Man muss nur aufpassen, dass man damit andere nicht behindert. Siehe oben (Mittelspurschleicher). Lkw bringen aber auch ein direkteres Problem mit sich: Sie sorgen dafür, dass sich die 1. Spur nur mit 80-100 km/h bewegt. In der Theorie wieder kein Problem:

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In der Praxis sehr wohl ein Problem, weil sich der übrige Verkehr auf den restlichen Spuren drängt. Besonders betroffen ist die 2. Spur, denn wenn sie sich mit akzeptabler Geschwindigkeit bewegt, will kaum jemand auf die dritte Spur wechseln und dann auf eine längere Strecke zum Schnellfahren gezwungen sein, weil man sich schwer wieder in die verstopfte 2. Spur zurück einordnen kann.

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Wie die Grafik zeigt, gibt es aber auch die Option, in die erste Spur zu wechseln und damit brav dem Rechtsfahrgebot zu folgen (siehe vorige Grafik). Man hat dann sogar völlig freie Fahrt - bis man auf den Lkw aufläuft.

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In der Zwischenzeit wird der auf der 2. Spur Nachkommende aufschließen, und man wird nicht mehr reingelassen. Man hängt hinterm Lkw und muss auf eine größere Lücke warten. Beim Spurwechsel zurück auf die 2. Spur läuft man wegen der großen Geschwindigkeitsdifferenz Gefahr, abgeschossen zu werden.

Man kann den Menschen dieses Aufschließen zum Vordermann nicht übel nehmen, schließlich werden sie von klein auf dazu getrimmt. Schon im Kindergarten und in der Schule fängt es mit der Zweierreihe an, und beim Bundesheer wird man sowieso niedergeschrien, wenn sich nicht alles in Reih und Glied bewegt.

Das gleiche Problem in subtilerer Form: eine Autobahnabfahrt.

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Bei Autobahnabfahrten lockert sich i.a. die erste Spur etwas auf, weil Fahrzeuge abfahren. In unserem Beispiel das schwarze Auto, das wir gerade dabei waren zu überholen. Sollen wir nun dem Rechtsfahrgebot folgen und auf die erste Spur wechseln?

Wieder würde das rote Auto auf der 2. Spur beschleunigen und uns den Weg zurück versperren. Auf eine Abfahrt folgt aber normalerweise gleich eine Auffahrt, und dort fahren im Schnitt so viele Autos auf, wie vorher abgefahren sind... Daher ist es i.a. geschickter, erst mal die Auffahrt abzuwarten und erst dann auf die 1. Spur zu wechseln.

Fazit: Das Rechtsfahrgebot ist im Grunde eine gute Idee, aber die Realität ist oft kompliziert. Es gibt viele Situationen, die ein anderes Verhalten erfordern.

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